Saturday, September 20, 2008

New York in Zeiten der Finanzkrise

Ich sollte es vielleicht lassen mit New York. Das letzte Mal, als ich den Big Apple besuchte, jährte die Dot.com-Krise zum ersten Mal. Das war im März 2001. Die Krise war allgegenwärtig, den New Yorker aber nicht anzumerken. Das änderte sich ein halbes Jahr später, als sie Boeings in die Zwillingstürme flogen, was sich immer noch unheimlich anfühlt – besonders, da ich diese Zeilen gerade in der Luft schreibe.


Sieben Jahre später habe ich mich wieder nach New York gewagt – ins Auge des Wall Street-Hurrikans, der wenige Tage vor der Abreise erst richtig ausgebrochen ist. Wieder ist die Krise ein Jahr alt, doch diesmal scheint tatsächlich alles anders. Im Tagesrhythmus geht eine US-Investmentbank pleite, wird zwangsfusioniert oder notverkauft.


Als ich abreiste, war es Lehman, die dem Sturm nicht mehr standhalten konnte. Davon ist an der 745 Seventh Avenue, wo die Heaquarters stehen und noch immer bewacht werden, nicht besonders viel zu sehen. Der Lehman-Schriftzug leuchtet noch immer so protzig auf, als wären die Ereignisse vom vorangegangen Montag nur die Episode eines Trading-Tages. Dabei steht jenes prunkvolle Unternehmen mit 158-jähriger Geschichte längst unter Gläubigerschutz - Chapter 11, wie es im Börsenjargon so (un-)schön heißt.


Ein paar Straßen tiefer tobt das Leben, als hätte es keinen historischen Kursrutsch an den Aktienmärkten gegeben. Die ganze Welt – buchstäblich die ganze Welt: Kleinasien, Lateinamerika, Europa und Rest-Amerika – quetscht sich an der 42sten über den proper gefüllten Times Square, der wie immer aus allen Nähten platzt.


Über den Köpfen des Bieneschwarms flimmern in Sekundenbruchteilen wechselnde Anzeigen, die versuchen, die Meute zu bekehren. "I’m a PC", sagen da Jedermänner, aber auch Prominente wie Pharrell Williams. Wieviel Dollar man dem Mitglied des Billion Boys Clubs für das armseelige Bekenntnis wohl geboten haben muss? Immerhin, ein Eingeständnis: Microsoft reagiert auf Apples Kult-Kampagne. Was das Leben als PC damit am Ende des Tages nicht wirklich besser macht...


Aber was macht das schon? Das Geld muss schließlich verbrannt werden. 200 Millionen Dollar von Microsoft in der jüngsten Kampagne. Ein Hundertfaches davon ein paar Meter tiefer unten an der Technologiebörse Nasdaq, wo bunte 3D-Logos mit blutroten Kursnotierungen durchtränkt werden.


Apple, Google, RIM: Alle haben sie zumindest 35 Prozent ihres Wertes bis heute verloren. Es ist Samstag, der 20. September, und das große Ende sollte noch bevorstehen...

Alle Fotos: © Nils Jacobsen

No comments: